Hannes’ Fahrt zur Arbeit
Es war schon kurz vor acht. Spätestens um halb neun musste Hannes im Büro sein. Er hasste seinen Job. Jeden Tag dasselbe. Derselbe Ablauf, die gleichen unfreundlichen Kunden mit den immer gleichen Fragen. Hannes arbeitete für ein Unternehmen, das Rohre verkaufte. Er war dafür zuständig, Kunden zu gewinnen und zu betreuen. Er schrieb Angebote und wickelte den Verkauf ab. Zwei Jahre machte er das nun schon, und es fiel ihm mit jedem Tag schwerer, sich für die Arbeit zu motivieren. Dabei hatte er eigentlich nur für ein halbes Jahr dort bleiben wollen, weil er das Geld dringend brauchte. Er verdiente nämlich sehr gut.
Seine wirkliche Leidenschaft galt dem Reisen. Er liebte es, neue Länder zu entdecken, mit ihrer Geschichte und ganz eigenen Kultur, mit interessanten Menschen und einer malerischen Landschaft. Gut, im Prinzip war Hannes noch nicht viel gereist. Nur als Kind einmal nach Italien mit seinen Eltern und einmal mit 17 für eine Woche nach Prag. Aber er besaß das Jahresabo eines wirklich informativen Reisemagazins und schaute jeden Abend mindestens eine Reisedokumentation im Internet. Manchmal, wenn er im Büro am Schreibtisch saß und für einen kleinen Moment das Telefon still stand, schaute er aus dem Fenster und träumte sich in die Ferne.
In letzter Zeit passierte ihm das immer öfter. Er war unkonzentriert und machte deshalb Fehler. Fehler, die auch seinem Chef auffielen. Hannes war bereits zwei Mal ermahnt worden, dass er genauer arbeiten solle. Und jetzt auch das noch. Er hatte sich heute Morgen wie gewohnt mit seinem Fahrrad auf den Weg gemacht, als er beim Fahren bemerkte, dass sein vorderer Reifen platt war. So würde er die Strecke auf keinen Fall schaffen. Mit Not erreichte Hannes den nächsten U-Bahnhof, wo er sein Fahrrad abstellen und eine Bahn zu seiner Arbeit nehmen konnte. Eigentlich war ihm das gar nicht recht. Er besaß nur zwei Dinge von gewissem Wert, die ihm wirklich etwas bedeuteten. Das waren sein Rennrad, an dem er nur zu gern herumschraubte, und eine wirklich schöne Armbanduhr, die er von seinem Großvater geerbt hatte. Eine echte Seiko. Ohne die ging er nie aus dem Haus. Schweren Herzens schloss er sein Fahrrad an einer Laterne an, versicherte sich, dass das Schloss wirklich verschlossen war, und eilte zur U-Bahn-Station.
Wie geht die Geschichte weiter? Du hast zwei Optionen:
Hannes fährt mit der U-Bahn
Nachdem er nochmal einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte, rannte Hannes die Treppen zur U-Bahn hinunter. Während er lief, versuchte er mit dem Handy über eine App ein Ticket zu kaufen. Doch jedes Mal, wenn er den Kauf des Tickets bestätigen wollte, erschien auf dem Display „Hier ist wohl etwas schiefgelaufen. Bitte versuchen Sie es erneut“. „Das gibt es doch einfach nicht“, ärgerte Hannes sich lautstark. Das war untypisch für ihn. Eigentlich war er eher der ruhige Typ und etwas schüchtern. Doch langsam geriet er ernsthaft in Stress und ihm war egal, was die Menschen um ihn herum dachten. Schon zehn nach acht. Die Zeit wurde langsam knapp.
Unten auf dem Bahnsteig angekommen, schaute Hannes sich hektisch nach einem Ticketautomaten um. Die nächste Bahn kam in einer Minute. Das wurde wirklich eng. Er rannte zu einem der gelben Automaten und begann, nervös auf dem Display herumzutippen. Schon hörte er die Bahn hinter sich einfahren und er hatte noch nicht bezahlt. „Komm schon“, sagte er laut und wählte „mit EC-Karte bezahlen“. Auf dem Display passierte nichts. Der Automat klickte immer wieder laut. Hinter ihm stand nun bereits die Bahn mit geöffneten Türen. Hannes musste jetzt schnell eine Entscheidung treffen. Mehrmals blickte er sich um. Die wartenden Menschen waren schon alle eingestiegen. „Ach verdammt“, fluchte er, steckte seine EC-Karte in die Hosentasche und sprang in die Bahn, als sich gerade langsam die Türen schlossen.
„Ok“, dachte sich Hannes, „es sind nur fünf Stationen, das wird schon gut gehen.“ Er versuchte durchzuatmen und rechnete sich im Kopf aus, wie lange er für fünf Stationen brauchen und wie viel Zeit ihm für den anschließenden Fußweg bleiben würde. Er kniff dabei die Augen zusammen, um sich besser auf das Rechnen konzentrieren zu können. Um ihn herum war es furchtbar laut und die Menschen standen dicht beieinander und unterhielten sich. Die Bahn fuhr in die nächste Station ein und ein paar Leute stiegen aus und anschließend neue ein. Die Türen schlossen sich und die Bahn setzte sich wieder in Bewegung.
„Guten Tag, einmal die Fahrscheine bitte“, sagte plötzlich jemand laut und hielt einen Ausweis hoch. „Verdammt, das gibt es doch jetzt nicht“, dachte Hannes. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal kontrolliert worden war, so lang war es schon her. Verlegen blickte er auf den Boden und hoffte, dass er an der nächsten Station unbemerkt aussteigen konnte. Noch stand der Kontrolleur ein ganzes Stück weit weg. Die Zeit kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Hannes bekam schwitzige Hände. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie der Mann sich die Tickets zeigen ließ und sich langsam auf ihn zubewegte. Da, jetzt kam die Ansage für die nächste Station. „Nächster Halt: Anhalter Bahnhof“, erklang eine Stimme. „Gleich geschafft“, dachte sich Hannes und drehte sich um, um sich schon mal langsam in Richtung der Tür zu bewegen. Da blieb plötzlich ein Mann in buntem Trainingsanzug vor ihm stehen und sagte: „Auch von Ihnen bitte einmal den Fahrschein.“ Die Kontrolleure waren zu zweit. Sie kamen von beiden Seiten.
„Mist“, dachte sich Hannes. „Ich habe leider kein Ticket“, sagte er etwas verlegen. „Ich habe es versucht, mit der Handy-App und am Automaten …“ „Na dann steigen Sie mal mit aus“, unterbrach ihn der Kontrolleur im Trainingsanzug. Die Bahn hielt inzwischen am nächsten Bahnhof. Hannes stieg mit dem Kontrolleur aus. Sein Kopf fühlte sich ganz heiß an. Der andere Kontrolleur hatte auch jemanden herausgefischt und stand bereits mit zwei Personen auf dem Bahnsteig.
„Ehrlich“, setzte Hannes nochmal an, „ich habe es versucht, aber dann kam die Bahn und der Automat... der hat nur geklickt … und ich bin doch so spät dran zur Arbeit.“ „Ja, ja“, sagte der Mann ihm gegenüber, „das ist ja nicht unsere Schuld, dann müssen Sie halt beim nächsten Mal etwas früher losgehen.“ Währenddessen tippte er auf einem kleinen Gerät herum. „Ich brauche einmal Ihren Ausweis“, sagte er ohne aufzublicken. „Äh ja“, sagte Hannes und kramte sein Portemonnaie heraus. Er gab dem Kontrolleur den Ausweis und blickte nervös auf seine Uhr. Nur noch ein paar Minuten bis halb neun. Unruhig tippte er mit dem Schuh auf dem Boden herum.
„Ok, danke“, sagte der Kontrolleur und reichte Hannes den Ausweis zurück. Er tippte noch etwas auf dem Gerät ein, dann begann er, einen kleinen Zettel auszudrucken. „Das ist für Sie“, sagte er, riss den Zettel ab und gab ihn Hannes. „Schönen Tag noch“, sagte er, während er sich schon umdrehte und zu seinem Kollegen ging. Hannes murmelte ebenfalls: „Ja danke, für Sie auch“, und blickte auf den Zettel, während er loseilte. Zufällig fiel sein Blick auf die Uhrzeit. Erstellt um 7:28. Hannes stutzte einen Moment. „Gerät wahrscheinlich falsch eingestellt“, dachte er sich, blickte aber dennoch hoch und entdeckte die große Bahnhofsuhr. Sie zeigte 7:28. „Moment“, dachte sich Hannes und holte sein Handy aus der Hosentasche. 7:28 zeigte dies. Er schaute auf seine Armbanduhr. 8:28. Hannes blieb stehen und blickte einen Moment ins Leere. Langsam dämmerte ihm etwas.
Es war März. Ein Blick mit seinem Handy ins Internet bestätigte seine Vermutung. Heute Nacht war die Umstellung auf die Sommerzeit und er hatte nicht daran gedacht, seine Armbanduhr umzustellen. Er hatte es einfach vergessen. Jetzt war er eine Stunde zu früh. Hannes seufzte laut. Aber irgendwie fiel ihm gar nicht so richtig ein Stein vom Herzen. Das machte ihn nachdenklich. Er spürte deutlich, dass er überhaupt nicht richtig erleichtert war, es nun doch rechtzeitig zur Arbeit zu schaffen. „Wahrscheinlich“, dachte er sich, „wird es wirklich Zeit, meinen Job zu kündigen und auf Reisen zu gehen.“ Irgendwie war heute doch ein guter Tag!
Hannes ruft sich ein Taxi
Dort angekommen checkte Hannes die nächste Verbindung und stellte fest, dass er es mit der Bahn auf keinen Fall pünktlich ins Büro schaffen würde. Er eilte zurück zur Straße und sah sich nach einem Taxi um. Es war keines zu sehen. Oft parkten ein paar Wagen direkt vor dem Bahnhof oder es gab sogar einen offiziellen Taxistand. Hannes nahm sein Handy, um nach der Telefonnummer der Taxizentrale zu suchen, da sah er plötzlich eines der typisch gelben Autos mit Schild auf dem Dach auf ihn zukommen. Schnell hob er den Arm in die Luft und winkte den Fahrer heran. Mit einer schnellen Bremsung kam das Auto zum Stehen und Hannes öffnete die hintere Tür.
Im Wagen saß ein freundlich aussehender Mann, etwa Mitte 50, mit dunklem Haar und braunen Augen. Er trug ein weißes Hemd und darüber eine Lederweste. Am Rückspiegel baumelte eine Gebetskette aus braunen Perlen.
„Hallo“, sagte Hannes und nickte dem Fahrer zu. „Ich muss in die Kaiserin-Augusta-Allee 43, bitte“, fügte er hinzu, während er einstieg und die Tür hinter sich zuschlug. „Kaiserin-Augusta, alles klar“, antwortete der Mann und lenkte den Wagen auf die Fahrbahn. Hannes warf einen Blick auf die Uhr. Beinahe zehn Minuten nach acht. Das konnte knapp werden. Er beschloss, im Büro anzurufen und Bescheid zu geben, dass er vielleicht etwas Verspätung haben würde.
Gerade hatte er die Nummer gewählt und sein Handy ans Ohr genommen, da klang auch schon eine unfreundliche Stimme durchs Telefon: „Robusta Rohre, Hübner mein Name, was kann ich für Sie tun?“, sagte der Mann am anderen Ende. Auch das noch. Ausgerechnet sein Chef höchstpersönlich ging ans Telefon. „Ja, guten Tag Herr Hübner“, begann Hannes mit aufgeregter Stimme. „Hannes Weidemann hier, ich rufe an, weil ich leider eine Fahrradpanne hatte und mich deshalb eventuell etwas verspäten werde. Ich sitze jetzt im Taxi.“ „Was meinen Sie damit, Sie werden sich verspäten?“, polterte Herr Hübner los. „Sie müssten schon längst hier sein, heute ist doch die wichtige Präsentation für das neue Bauprojekt in Steglitz. In zwanzig Minuten wird der Kunde da sein. Wo sind Sie mit Ihren Gedanken, Herr Weidemann? So etwas darf nicht passieren!“
Hannes schluckte. Nervös antwortete er: „Ja, natürlich, die Präsentation. Ich bin absolut pünktlich losgefahren. Nur mein Fahrrad …“ Er zögerte. „Also das hatte anscheinend einen Platten und ich habe es erst beim Fahren bemerkt. Ich bin sofort in ein Taxi gestiegen. Aber mit dem Auto dauert es etwas länger, da ich nicht durch den Park fahren kann.“ „Es ist mir vollkommen egal, dass Ihr Fahrrad einen Platten hat“, schrie Hannes’ Chef nun laut ins Telefon. „Wenn Sie nicht um Punkt halb neun im Büro sind, brauchen Sie überhaupt nicht mehr hier aufzutauchen. Dann werde ich Ihnen kündigen!“
Hannes hielt das Handy ein wenig von seinem Ohr weg, so laut drang die Stimme durchs Telefon. Der Taxifahrer blickte ihn durch den Rückspiegel an und hob verwundert die Augenbrauen. „Gut“, sprach Hannes nun weiter, „ich beeile mich. Ich werde um halb neun da sein. Kein Problem.“ Er verabschiedete sich kurz und legte auf. „Wütender Chef?“, fragte der Taxifahrer und lächelte verständnisvoll. „Ääh ja“, sagte Hannes, „er ist manchmal etwas …“ „Ich versteh’ schon“, antwortete der Fahrer. „Deswegen fahr’ ich Taxi. Da bin ich mein eigener Chef und kann entscheiden, wann ich fahre und wie lange. Und niemand meckert mich an, wenn ich später mit der Arbeit beginne.“ „Ach tatsächlich?“, fragte Hannes mehr aus Höflichkeit. In Wirklichkeit war er in Gedanken und überlegte, was er gleich in der Präsentation erzählen würde. Er hatte diese zwar vor einer Woche vorbereitet, aber den Termin mit dem Kunden heute hatte er vollkommen vergessen.
„Ja, das ist wirklich viel besser so“, fuhr der Taxifahrer unbeirrt fort zu erzählen. „Wissen Sie, ich liebe das einfach. Sitze den ganzen Tag in meinem Auto, unterhalte mich mit immer neuen Menschen, kann Pause machen, wenn ich das möchte, und auch den Feierabend bestimme ich selbst. Natürlich trage ich dafür die ganze Verantwortung. Muss selber sehen, dass ich über die Runden komme. Aber ich würde es immer wieder so machen.“ „Das klingt tatsächlich sehr verlockend“, antwortete Hannes etwas abwesend, während er in seinem Handy einige Gedanken für die Präsentation notierte. „Ja, das ist es“, sagte der Fahrer fröhlich. „Und im Winter, wenn es hier richtig ungemütlich wird, fahre ich immer für ein, zwei Monate in die Heimat nach Griechenland. Dort haben meine Frau und ich ein kleines Haus. Nichts Tolles, ganz einfach, aber für uns beide reicht es.“ „Ach, Sie kommen aus Griechenland?“ Nun hob Hannes doch interessiert den Kopf. „Ja, meine Frau und ich. Wir kommen beide aus Griechenland. Für die Arbeit sind wir nach Deutschland gezogen, verstehen Sie? Aber wir können nicht existieren, ohne mindestens einmal im Jahr in der Heimat gewesen zu sein.“ „Ja, das versteh’ ich“, antwortete Hannes und stellte sich dabei blaues Meer und blau-weiße Häuschen am Strand vor.
Plötzlich bog das Taxi ab und hielt am Straßenrand. „So, bitteschön“, sagte der Fahrer, „das macht dann 18,50 Euro bitte.“ Hannes schaute sich um. „Aber“, sagte er verwirrt, „hier sind wir nicht richtig.“ „Kaiserin-Augusta-Straße 43“, sagte der Fahrer und hob dabei verteidigend die Hände. „Allee“, rief Hannes, „Kaiserin-Augusta-Allee 43 hatte ich gesagt!“ „Tatsächlich?“ Der Fahrer sah verwirrt aus. „Das darf doch alles nicht wahr sein“, sagte Hannes aufgebracht und sah auf die Uhr. Es war eine Minute nach halb neun. In diesem Moment klingelte wieder sein Handy. Das Büro. Hannes wollte nicht drangehen. Er hasste seinen Chef. Und er hasste seinen Job.
Seufzend blickte er aus dem Fenster. Da fiel sein Blick auf ein kleines Schaufenster direkt vor ihm auf der anderen Seite des Bürgersteigs. In dem Fenster standen aufblasbare Plastikpalmen und kleine rote Strandliegen. Darüber hingen verschiedene Plakate. Sie alle warben für: Reisen! „Wissen Sie was?“, sagte Hannes nun entschlossen. „Ich steige hier aus.“ Er schaltete sein Handy auf stumm. Der Fahrer schaute ihn verdutzt an. „Gut, dann bekomme ich 18,50 Euro“, sagte er zögerlich. „Stimmt so!“ Hannes gab ihm 20 Euro. Danach öffnete er die Tür, stieg aus dem Wagen und lächelte. Dann betrat er das Reisebüro!
Übungen – Hast du alles verstanden?
Mithilfe dieser Übungen kannst du überprüfen, ob du alles verstanden hast!
Was stimmt?
Diese Übungen sollen dazu beitragen, das Textverständnis zu vertiefen und die Sprachkenntnisse zu fördern.
Wenn du weniger als 25 Punkte erreicht hast, analysiere deine Fehler und lies/höre den Text noch einmal!
Die Downloads zur Kurzgeschichte findest du am Ende dieser Seite: Zum Download
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